Liebe Menschheit,

zugegeben, es kommt mir ein bisschen komisch vor, einen Brief an dich zu schreiben. Briefe schreibt man normalerweise an einzelne Personen oder zumindest an eine überschaubare Gruppe von Personen. Nicht gleich an alle Personen auf diesem Planeten auf einmal. Ich bin mir nicht einmal sicher, welche Anschrift ich auf den Umschlag schreiben soll. Und ich rechne irgendwie auch nicht mit einem Antwortbrief. Nichtsdestotrotz: Es ist an der Zeit, dir zu schreiben.

Mir ist schon klar, dass ich kaum hoffen kann, dich mit diesem Brief überhaupt als Ganzes zu erreichen – vor allem, wenn man bedenkt, dass zur Menschheit ja nicht nur alle jetzt gerade lebenden Menschen zählen sondern eigentlich alle Menschen aller Zeiten. Alleine rückblickend sind das schon gut 107 Milliarden! Hinzu kommen die Menschen, die erst noch auf die Welt kommen. Hoffentlich werden das noch viele sein! Aber zu dem Punkt komme ich weiter unten nochmals. Erst möchte ich einen Blick zurück werfen.

Liebe Menschheit: Wir haben schon eine ganz schöne Strecke hingelegt!

Wohl kein anderes Wesen auf diesem Planeten hat seine Umwelt so stark geformt wie du. Angefangen hat das vor zirka 200.000 Jahren. Damals gab es noch keinen Nobel-Preis für die geniale Idee, sich mit den Fellen anderer Tiere vor der Kälte zu schützen, oder dafür, herauszukriegen, wie man Feuer macht. Auch die Erfindungen des Speers und der ersten Sandalen blieben in dieser Hinsicht weitgehend unbeachtet, obwohl das alles echte Meilensteine waren, mit denen du dich gegen die Elemente behaupten und den ganzen Planeten besiedeln konntest!

Du warst nicht schon immer so auf Zack. Lange, lange Zeit warst du bloß eine kaum bemerkenswerte Spezies in ihrer kleinen Nische in der Mitte der Nahrungskette, die kaum mehr in der Lage war, ihre Umwelt zu formen, als es Gorillas, Schmetterlingen oder Tiefseequallen möglich ist. Damals hieltest du dich leidlich mit dem Sammeln von Beeren und dem Erlegen von Insekten und Kleingetier über Wasser. Vielleicht fandest du auch mal einen Kadaver, den jene deutlich stärkeren Jäger übrig gelassen hatten, vor denen du sonst allzu oft um dein eigenes Leben rennen musstest.

Wusstest du eigentlich, dass eine einzelne Bande Schimpansen eine größere genetische Diversität aufweist als die Gesamtheit aller 7 Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben? Die Wissenschaftler nehmen an, dass dies daher kommt, dass du an einem Punkt in deiner Geschichte beinahe ausgestorben wärst, sodass die heutigen Menschen alle von einer sehr kleinen Gruppe Überlebender abstammen. Diese Tatsache sollte dich zur Bescheidenheit anhalten. Es ist sozusagen fast schon ein Wunder, dass es dich überhaupt noch gibt auf der Welt!

Rein von der Physis her sind die Vertreter deiner Spezies im Vergleich zu vielen anderen Tieren recht schwächliche Kreaturen. Welches andere Tier kommt unter solchen Komplikationen und derart hilflos zur Welt und bleibt dann auch noch über Jahre hinweg so hilflos? Ein neugeborenes Lamm macht in wenigen Minuten nach seiner Geburt seine ersten Freudensprünge. Ein Menschenkind hingegen kriecht ein ganzes Jahr lang hilflos umher. Andere Tiere weisen spezielle Sinne, Reflexe und körperliche Anpassungen auf, mittels derer sie in ihren Habitaten sportliche Weltrekorde aufstellen. Doch die Vertreter deiner Spezies machen in keiner Umgebung eine wirklich glückliche Figur. Und doch verbirgt sich in dieser vordergründigen Schwäche auch deine Stärke, die es dir erlaubt hat, dich von der afrikanischen Savanne bis an die Pole auszubreiten, Gipfel zu erklimmen, den Grund des Meeres zu erforschen, ja, sogar den Mond zu betreten! Eine beachtenswerte Leistung.

Manche Menschen meinen, du solltest dich weiter ausbreiten, das Sonnensystem, ja, das ganze Universum besiedeln! An sich keine schlechte Idee – und wenn schon bloß, um deiner Auslöschung zu entgehen, falls eines Tages mal wieder ein massiver Meteor auf den Planeten plumpsen sollte. Das wäre ja schon ein bisschen schade. Aber ehrlich gesagt, bin ich doch der Meinung, dass es noch ein bisschen früh für dich ist, die Flucht auf andere Planeten anzutreten. Zunächst einmal solltest du vielleicht mal probieren, ein paar deiner Probleme auf deinem aktuellen Heimatplaneten in den Griff zu bekommen? Denn man kommt doch nicht umhin zu konstatieren, dass deine Anwesenheit hier für einige Probleme gesorgt hat: globaler Klimawandel, Schrumpfen der Regenwälder, Plastik in den Meeren, Radioaktivität, Artensterben. Das kann schnell auf die Stimmung drücken, wenn man sich das so anschaut. Manchmal scheint es fast so, als würdest du mehr Schaden als Nutzen bringen!

Oft begegne ich sogar Vertetern deiner eigenen Spezies, die der Meinung sind, es wäre besser für den Planeten, wenn es dich gar nicht gäbe! Ich hoffe, ich kränke dich nicht, wenn ich dir offen sage, liebe Menschheit, dass es Menschen gibt, die dir nicht über den Weg trauen, die auf dich verächtlich herabschauen, und die dich nicht leiden mögen, weil sie meinen, du versaust den Planeten nur. Ich möchte eilig hinzufügen, dass ich mich selbst nicht zu denjenigen zähle, die das meinen! Misanthropie lag mir schon immer fern, denn im Grunde ist das ja eine Form der Selbstverachtung.

Wo aber rührt dieser Argwohn dir gegenüber her, liebe Menschheit? Bei genauerer Untersuchung habe ich festgestellt, dass diejenigen, die diesen Argwohn gegen dich hegen, ein gewisses Menschenbild mit sich herum tragen, das aus meiner Sicht falscher kaum sein könnte: Sie sehen die Menschheit als eine widernatürliche Erscheinung an, die den Widerpart zu einer romantisch verklärten, idyllischen Natur bildet. Das halte ich für eine naïve, wenig konstruktive Sichtweise, von der wir uns so rasch wie möglich verabschieden sollten. Um diese Sichtweise jedoch erst einmal zu verstehen, müssen wir ganz am Anfang beginnen.

Die Erde entstand vor mehr als 4,5 Milliarden Jahren. Zunächst war sie nicht viel mehr als ein einsamer Klumpen heißen Gesteins im Weltall. Es sollte noch über eine Milliarde Jahre dauern, ehe sich das Leben darauf auszubreiten begann. Ab da brauchte es wiederum zwei weitere Milliarden Jahre, bis die ersten mehrzelligen Pflanzen das Licht der Sonne erblickten. Dann, eine weitere Milliarde Jahre später, kam es zur sog. „Kambrischen Explosion“, bei der eine völlig neue Art von Lebewesen die Weltbühne betrat: das Tier.

Das war nun vor etwa 500 Millionen Jahren. Wir wissen nicht, wie das Auftauchen der ersten Tiere von der Pflanzenwelt aufgenommen wurde. Aber wenn man bedenkt, dass Pflanzen im Allgemeinen ja eher einem ruhigen Lebenswandel frönen, meist mehr oder weniger an einer Stelle verharrend, das Grün der Sonne entgegengestreckt, die Wurzeln ins Erdreich getrieben… dann erscheint es doch nicht allzu weit hergeholt, dass die Pflanzen das plötzliche Gewusel um sie herum gewissermaßen als Stress und Hektik empfunden haben könnten. Aus Pflanzensicht – so lässt sich wohl vermuten – war das Auftreten der Tiere gleich dem Einfallen der Barbarenhorden. Barbaren, die nichts von der guten Sitte hielten, ihre Wurzeln im Boden zu lassen, und die stattdessen wild polternd umherzogen, mal hier, mal da. Und was sicherlich das Barbarischste an ihnen war: Sie fraßen Pflanzen!

So gesehen, war das Auftreten der Tiere für die Pflanzenwelt also wohl alles andere als ein Grund zum Frohlocken. Die Evolution macht jedoch keine Pause. Zweifellos wurde das Leben auf der Erde durch das Auftreten der Tiere spannender – so, wie die Konkurrenz bekanntlich das Geschäft belebt. Eine Welt nur mit Pflanzen darauf ist vielleicht ganz nett anzuschauen – aber auch ein bisschen langweilig. Und als der Planet nur ein schnöder Gesteinsklumpen war… naja, von denen gibt es im Universum ja ohnehin schon mehr als genug, oder?

Nun aber zurück zu dir, liebe Menschheit. So, wie das Auftreten der Tiere die Pflanzenwelt durchrüttelte, so brachtest auch du durch dein Auftreten das bereits eingesessene Leben auf der Erde zum Erzittern. Denke daran: Du bist ja praktisch eben erst hier angekommen! Tiere gab es vor dir schon 2.000 mal länger als deine gesamte bisherige Existenz. Pflanzen 7.000 mal länger. Aber mir geht es bei alledem nicht darum, Demut in dir hervorzurufen. Denn ein Phänomen bist du allemal. Das nimmt dir keiner!

Obwohl auch du im Grunde eine Tierspezies bist, so bist du doch anders als all die anderen. Wie schon gesagt, tust du dich ja nun nicht durch deine physischen Eigenschaften hervor, die tatsächlich eher ein Grund zur Demut sind. Das, was dich hervorhebt, ist dein Verhalten. Speziell: dein ausgeprägter Hang zur Technik. Zwar gibt es freilich durchaus andere Tiere, die „künstlich“ in ihre unmittelbare Umwelt eingreifen – man denke an Biberdämme und Termitenbauten. Aber im Vergleich zu dir sind das alles Dilettanten. Das Wort „Technik“ verwende ich hier im weitesten Sinne: Es soll all jene Verhaltensweisen umfassen, die das Verhältnis einer Art zu den Naturgewalten beeinflussen: Werkzeuge, Hausbau, Kleidung, Kommunikation, Schrift, Transportmittel, Computernetze, Weltkonzerne, Geldsysteme usw.

Seitdem du den Boden dieses Planeten betreten hast, bist du ein wahrer Weltmeister darin, technische Systeme zu kreieren, mit denen du dich über die Naturgewalten hinwegsetzt. Angefangen hat das mit den ersten Hüttchen, mit denen du dich vor Wind und Wetter geschützt hast. Inzwischen schneidest du deine Artgenossen auf und nähst sie wieder zu, und schlägst so selbst dem Tod ein Schnippchen! Die Technik ist deine Natur. Doch so, wie ein Fisch nicht weiß, dass er im Wasser schwimmt, so unterschätzt auch du, wie sehr du von der Technik abhängig bist, und wie massiv ihre Auswirkungen sind. Nimm beispielsweise deine durschnittliche Lebenserwartung. In deinen ersten Tagen wurde kaum ein Vertreter deiner Art älter als 30. Ein Großteil starb bereits im Kindesalter. Glücklich, wer alt genug wurde, um selbst Kinder zu bekommen! In der Wildnis, dicht am Busen von Mutter Natur, ist das die normale Härte: Von der „glücklichen“ Entenfamilie mit ihrem Dutzend Küken, die munter hinter der Entenmutter her schwimmen, bleibt bis zum Winteranfang vielleicht gerade einmal die Hälfte übrig!

Die Technik ist ein Teil von dir, liebe Menschheit. Dein Verhältnis zu ihr weist Parallelen zum Verhältnis der Bienen zu den Blumen auf: Die Bienen sammeln den Blütennektar und verbreiten dabei den Pollen der Pflanzen. Die Menschen ziehen ihren Nutzen aus der Technik – und umgekehrt kann sich die Technik nur mit Hilfe der Menschheit verbreiten und vermehren! Und wie du ihr geholfen hast, liebe Menschheit! Die Technik ist inzwischen so omnipräsent auf der Oberfläche dieses Planeten, dass mit ihr eine völlig neue Biosphäre entstanden ist, welche die Anpassungsfähigkeit des Lebens auf der Erde herausfordert – eine Technosphäre! Eine Ökologie der interagierenden Technologien, deren Evolution mit deinem Erscheinen ihren Anfang genommen hat. Ihre Auswirkungen auf das irdische Leben sind kaum zu ermessen, und sie stehen in ihrer Tragweite dem Auftreten der ersten Tiere vor 500 Millionen Jahren in nichts nach.

Aus der Perspektive der biologischen Evolution ist auch das alles „Business as usual“. Die Natur baut immerzu auf dem bereits erreichten Komplexitätsniveau auf: Die Biologie baut auf der Chemie auf, das Bewusstsein auf der Biologie, die Ratio auf dem Bewusstsein, die Technologie auf der Ratio. Aus der Perspektive des Lebens auf der Erde hingegen ist das alles eine Ungeheuerlichkeit! Mir fällt keine andere Spezies auf diesem Planeten ein, der es gelungen wäre, einen neuen Zweig der Evolution zu schaffen. Einen evolutionären Zweig außerhalb der kohlenstoffbasierten DNA-Träger. Eine nicht-genetische Evolution auf Siliziumbasis! Und auch wenn du es wohl nie bewusst darauf angelegt hast, so lässt sich doch nichts Geringeres feststellen. Deine Anwesenheit hat das Antlitz der Erde fundamental verändert. Die Auswirkungen daraus werden noch Jahrmillionen spürbar sein. Das ist dein Tun, liebe Menschheit. Und doch scheinst du dir dessen weiterhin kaum bewusst zu sein. Wie gedenkst du, damit umzugehen?

Ja, ich verstehe schon: Das alles ist leichter gesagt als getan. Nicht zuletzt, weil du, liebe Menschheit, kein einzelnes, denkendes Subjekt bist, sondern ein Kollektiv aus mehreren Milliarden relativ lose organisierten Individuen, von denen jedes einzelne seine eigenen Vorstellungen, Gedanken, Wünsche und Interessen hegt. Du bist biologisch schlicht nicht darauf ausgelegt, auf einer planetaren Stufe zu denken. Nichtsdestotrotz erscheint mir genau das als das dringlichste Problem dieser Zeit. Du stehst am Scheideweg. Darum schreibe ich dir diesen Brief.

Was deine Zukunft betrifft, so sehe ich zwei unterschiedliche Pfade voraus, die du von hier aus beschreiten kannst, um dein koevolutionäres Verhältnis zur Technik fortzuschreiben: eine Utopie – und eine Dystopie. Fangen wir mit Letzterem an. Jede koevolutionäre Beziehung – ob diejenige zwischen Bienen und Blumen oder diejenige zwischen dir und der Technik – läuft Gefahr, ins Parasitäre umzukippen. Im Unterschied zu symbiotischen Verhältnissen ist bei parasitären Verhältnissen die Balance zwischen Geben und Nehmen massiv gestört. Eine Zecke, ein Bandwurm, ein Kuckucksküken: Sie alle nehmen nur, aber geben nichts zurück. Könnte das latente Unbehagen, das viele Vertreter deiner Spezies im Umgang mit der um sich greifenden Technisierung verspüren, etwas damit zu tun haben? Trotz der Tatsache, dass du seit prähistorischen Zeiten die Technik dazu genutzt hast, um dir Überlebensvorteile zu sichern, bist du nicht gefeit vor der Gefahr, zum Wirt einer ins Parasitäre gekippten Technologie zu werden – der Mensch als das Mittel zu eines Anderen Zweck! Ein Vorbote dieses Umkippens der Verhältnisse zeichnet sich beispielsweise im pharmazeutischen Bereich ab: Einerseits ist die moderne Medizin zweifellos in vielen Fällen ein Lebensretter. Andererseits aber, wenn Pharmakonzerne nur noch auf ihre Gewinnmaximierung aus sind und emsig die Pathologisierung jeder noch so kleinen Normabweichung vorantreiben, um den so eingeschüchterten und zu Patienten erklärten Menschen dann das passende Mittelchen dagegen anzudrehen, dann ist die Frage angemessen, ob die Medizin an diesem Punkt noch dem Menschen dient – oder ob nicht umgekehrt der Mensch den Interessen der Konzerne und ihres wuchernden technischen Apparats dient.

Wo genau verläuft die Grenze zwischen einer Technik, die dir, liebe Menschheit, zu Diensten ist, und einer Technik, die dich vor ihren Karren spannt? Der ultimative Albtraum ist wohl, dass du dich letztlich als nichts weiter als das Geschlechtsteil eines gigantischen Techno-Orgasnismus entpuppst, das alleine zu dessen Fortpflanzung dient. Spezies, die so ein Sklavendasein führen, sind ja beileibe keine Rarität in der Natur. Man denke nur an unsere Darmbakterien, die nützliche Dienste für uns verrichten. Bist du, liebe Menschheit, am Ende nur das Darmbakterienkollektiv in den Eingeweiden jenes Techno-Leviathans? Ein Rädchen im Getriebe? An diesem Punkt wäre die Menschenwürde nur noch ein Lippenbekenntnis, eine liebgewonnene Illusion. Ich glaube nicht, dass du das willst. Und ich bin mir da ziemlich sicher, denn ich bin ein Teil von dir. Ich bin in deinem Team, liebe Menschheit!

Nun zur Utopie.

Der Wunschtraum ist, dass du eines Morgens aufwachst und feststellst, dass das Menschsein kein Endpunkt sondern ein Prozess ist. Die Technik verändert nicht nur deine Umwelt. Sie verändert auch dich. Diese Veränderungen – so die Hoffnung – werden dich eine neue Stufe des Menschseins erklimmen lassen! Sie werden uns gestatten, unsere positiven Qualitäten zu verstärken und unsere Schwächen und Gebrechen abzumildern.

Mangels einer treffenderen Bezeichnung könnte man eine Technologie dieser Wesensart als „humane Technologie“ bezeichnen. Eine humane Technologie hat die Erfüllung deiner Bedürfnisse zum Ziel, liebe Menschheit. Sie würde die Vertreter deiner Art erheben statt sie überflüssig zu machen. Sie würde die Sinne der Menschen schärfen und erweitern statt sie zu vernebeln. Sie würde sich unseren Instinkten und Intuitionen anpassen statt uns zu entfremden. Eine humane Technologie würde nicht nur einzelnen Subjekten einen Vorteil verschaffen sondern dir, liebe Menschheit, im Ganzen. Mit ihrer Hilfe, schließlich, würden Träume wahr werden. Unsere Träume. Deine Träume.

Wie sehen deine Träume aus? Fliegen wie ein Vogel? Ein Wintergarten auf dem Mond? Schwimmen wie die Delfine? Kommunikation per Sonar? Telepathischer Kontakt zu den Liebsten? Harmonie zwischen allen Völkern? Empathie als sechster Sinn? Ein Haus, das mit der Familie wächst? Länger leben? Vielleicht… für immer?

Hör mir zu, liebe Menschheit: Früher einmal warst du nur eine unbedeutende kleine Spezies in einer kleinen evolutionären Nische. Aber die Tage dieser deiner Kindheit sind vorbei. Dank deines Erfindungsreichtums und deiner Kreativität hast du dich am eigenen Zopfe aus dem Schlamm gezogen. Jetzt bist du ein Evolutionskatalysator, der den gesamten Planeten umwandelt. Dieser Vorgang ist längst nicht abgeschlossen. Du bist das Verbindungsstück zwischen der Biosphäre, aus der du stammst, und der Technosphäre, die mit dir zusammen die Welt erobert hat. Dein Verhalten bestimmt von nun an wesentlich das Schicksal dieses Planeten und aller seiner Bewohner. Stelle dich dieser Verantwortung!

Tust du das nicht, dann hättest du vielleicht tatsächlich lieber in der Savanne bleiben sollen. Aber das ist natürlich nicht deine Art. Ein „Zurück zur Natur“ ist wohl die illusorischste aller Utopien für die Menschheit. Nicht nur wäre es feige – du würdest dein Menschsein verleugnen müssen! Die Zukunft der Menschheit lässt sich nicht ohne die Zukunft der Technik denken. Für dich gibt es nur ein Vorwärts. Du bist jetzt in deiner Adoleszenz. Du musst erwachsen werden. Die Technik ist dein Selbstportrait, liebe Menschheit. Sie ist die Manifestation deines Wesens in der physischen Welt. Lass uns ein Kunstwerk schaffen, auf das wir stolz sein dürfen! Lass uns die Technik nutzen, um einen Weg in eine Zukunft zu bahnen, in der nicht nur einzelne von uns einen Platz haben sondern die ganze Erde und alle, die auf ihr leben, sowie alle anderen zahlreichen Welten im Universum, die wir noch besiedeln mögen!

Abschließend möchte ich eine Bitte an dich richten, liebe Menschheit. Ich möchte jeden einzelnen deiner jetzt und in Zukunft, auf der Erde oder anderswo lebenden Vertreter dazu einladen, einer jeglichen technologischen Veränderung mit der folgenden Frage zu begegnen: „Hilft mir das, ein Mensch zu sein?“

Die Antwort darauf wird meistens weder schwarz noch weiß sein. Kein klares „Ja“. Kein klares „Nein“. Und nicht jeder wird dieselbe Antwort auf diese Frage vernehmen. Es wird Diskussionen geben. Aber das ist gut so. Solange sich jeder ernsthaft diese Frage stellt und sie nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet, wirst du das Ding schon schaukeln, liebe Menschheit. Wie genau, das ist dann nur noch eine Detailfrage. Niemand weiß, wie der Mensch in einer Million Jahren aussehen wird, oder ob es dann überhaupt noch Menschen geben wird, und falls ja, ob wir sie wiedererkennen würden. Werden wir Cyborgs sein? Werden wir uns genetisch reprogrammieren? Werden wir unser Gehirnvolumen verdoppeln? Uns telepathisch verständigen? Flügel haben? Alles ist denkbar. Meine Hoffnung ist, dass, was auch immer der Mensch dann sein wird, dass er diesen Namen verdienen wird: „Mensch“. Denn nur dann wird es auch dich weiterhin geben, liebe Menschheit.

Aus dem tiefsten, demutsvollen Herzen meines eigenen, fehlbaren Menschseins wünsche ich dir Glück, Zufriedenheit und eine gute Reise auf deinem Weg in die Zukunft!

In freudiger Erwartung auf die nächsten trillionen Menschen, die das Licht der Existenz erblicken, verbleibt

mit herzlichen Grüßen

Dein Koert van Mensvoort

p.s. – Hinweis an den einzelnen Leser: Nachdem Sie diesen Brief gelesen haben, leiten Sie ihn doch bitte an Ihren nächsten Artgenossen weiter. Falls Sie mehr tun möchten, dann kopieren, übersetzen und veröffentlichen Sie diesen Brief wo immer und so oft Sie können. Denn die Menschheit – das sind wir alle.